"Klimaneutral"-Werbung führt in die Irre

Stand:
Was verstehen Verbraucher:innen unter "klimaneutralen" Produkten? Dazu hat das SINUS-Institut eine repräsentative Umfrage durchgeführt.
Wasserflasche, Küchenrolle und Seifenspender mit handschriftlich beschriebenen Etiketten "klimaneutral" und "CO2-neutral"

Das Wichtigste in Kürze:

  • Der Großteil der Befragten erwartet bei "klimaneutral"-Aussagen eine klimafreundliche Herstellung der Produkte.
  • Die reine Kompensation durch Kauf von CO2-Zertifikaten reicht Konsument:innen nicht aus.
  • Aus Sicht der Verbraucherzentrale NRW müssen Klima-Aussagen strenger reguliert werden. Die konsequente Vermeidung und Verringerung von CO2-Emissionen durch Unternehmen muss dabei im Mittelpunkt stehen.
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In Supermärkten und Discountern finden Verbraucher:innen immer öfter Produkte, die mit Aussagen wie "100% CO2-neutral hergestellt", "klimaneutral produziert" oder "klimaneutrales Produkt" für sich werben. Solche Angaben sind rechtlich nicht geschützt. "Klimaneutral" bedeutet in der gängigen Praxis lediglich, dass der CO2-Ausstoß des Produkts berechnet und von den Herstellern durch den Kauf von Zertifikaten aus Klimaschutzprojekten ausgeglichen wurde. Dies ist einem Großteil der Verbraucher:innen jedoch nicht bekannt. Sie erwarten vielmehr, dass derart beworbene Produkte tatsächlich weniger klimaschädlich hergestellt sind. Dies ergab eine repräsentative Umfrage des SINUS-Instituts im Auftrag des MehrWert-Projekts der Verbraucherzentrale NRW.

Ziel der Befragung war es herauszufinden: Was verstehen Verbraucher:innen unter klimaneutralen Produkten? Erfassen sie, dass es im Kern um den Kauf von Ausgleichszertifikaten geht? Verstehen sie, dass die Bezeichnung "klimaneutral" nicht verspricht, dass mit dem Produkt keine oder nur besonders geringe CO2-Emissionen verbunden sind? Erwarten sie Maßnahmen der Hersteller zur Reduktion und Vermeidung von CO2 im Produktlebenszyklus? Wissen besonders umweltbewusste Verbraucher:innen auch besonders gut Bescheid über die Bedeutung von "klimaneutral"-Aussagen?

Um diese Fragen zu beantworten hat das SINUS-Institut 1.000 repräsentativ ausgewählte Menschen zwischen 18 und 69 Jahren befragt, die in Deutschland leben.

Die wichtigsten Ergebnisse der Befragung sind

  • Die Vorstellungen der Verbraucher:innen zum Begriff "klimaneutral" sind vielfältig und reichen von "umweltfreundliche Herstellung" über "kein/reduzierter CO2-Ausstoß" bis hin zu "weniger Plastik" – nur wenige Befragte denken zuerst an den CO2-Ausgleich.
    Die befragten Verbraucher:innen wurden gebeten, in eigenen Worten zu erläutern, was die Bezeichnung "klimaneutrales Produkt" ihrer Ansicht nach bedeutet. Hierbei wurde deutlich, dass es ganz unterschiedliche Vorstellungen gibt: 42 Prozent der Befragten äußern, dass bei klimaneutralen Produkten "Klima- und/oder Umweltschutz berücksichtigt" wird oder dass sie "umweltfreundlich" seien. 21 Prozent äußern die Vorstellung, dass es allgemein um "umweltfreundliche Herstellung" geht, 18 Prozent verbinden klimaneutrale Produkte mit "weniger/reduzierter/kein CO2-Ausstoß". Weitere 21 Prozent äußern, es gehe um "Regionalität, kurze Transportwege" oder um "weniger Plastik und Verpackungen". 10 Prozent äußern ganz allgemein, dass es um CO2 oder die CO2-Bilanz geht. Und nur 13 Prozent der Befragten erwähnten explizit das Prinzip des CO2-Ausgleichs bzw. der Kompensation.
  • Nur 3% der Verbraucher:innen wissen im Detail, was die Bezeichnung "klimaneutral" auf Produkten besagt. 39 Prozent wissen zwar, dass der CO2-Ausstoß ausgeglichen wird. Doch 52 Prozent glauben, dass sich die Hersteller zu Maßnahmen zur Reduktion oder Vermeidung des CO2-Ausstoßes der Produkte verpflichtet haben.
    Um das Wissen über die inhaltliche Bedeutung zu ermitteln, wurden den Befragten fünf Aussagen vorgelegt. Zwei der Aussagen gaben die Versprechen der marktgängigen "klimaneutral"-Aussagen wieder ("Der CO2-Ausstoß der Produkte wurde durch Zahlungen an Klimaschutzprojekte ausgeglichen" und "Die Herstellerunternehmen engagieren sich freiwillig, um den CO2-Ausstoß der Produkte zu reduzieren"). Drei weitere Aussagen gaben weitere naheliegende, aber unzutreffende Assoziationen zu klimaneutralen Produkten wieder ("Die Herstellerunternehmen verpflichten sich dazu, den CO2-Ausstoß der Produkte zu reduzieren"; "Bei der Herstellung der Produkte fällt besonders wenig CO2-Ausstoß an" und "Bei der Herstellung der Produkte fällt kein CO2-Ausstoß an"). Hierbei zeigte sich, dass nur 39 Prozent der korrekten Aussage zustimmen, dass der CO2-Ausstoß der Produkte ausgeglichen wird. Gleichzeitig sind falsche Vorstellungen zum Begriff "klimaneutral" weit verbreitet: 52 Prozent stimmten der (nicht korrekten) Aussage zu, dass die Herstellerunternehmen zur Reduktion des CO2-Ausstoßes der Produkte verpflichtet hätten. 48 Prozent glauben, dass bei der Herstellung der Produkte besonders wenig CO2-Ausstoß anfalle. Betrachtet man alle fünf Aussagen zusammen, so wird deutlich, dass nur wenige Verbraucher:innen die Bedeutung von "klimaneutralen Produkten" inhaltlich im Detail korrekt benennen können: Nur 3 Prozent der Befragten kreuzten beide zutreffenden Aussagen und keine der nicht zutreffenden Aussagen an, weitere 8 Prozent kreuzten lediglich eine der beiden zutreffenden Aussagen an. 55 Prozent der Verbraucher:innen kreuzten sowohl zutreffende als auch nicht zutreffende Aussagen an – und 35 Prozent hatten ein gänzlich falsches Begriffsverständnis oder gaben an nicht zu wissen, was der Begriff bedeutet.
  • Auch bei den besonders umweltbewussten Verbraucher:innen sind falsche Vorstellungen zur Klimaneutralität weit verbreitet.
    Nur 44 Prozent der besonders umweltbewussten Befragten wissen, dass mit "klimaneutral" der Ausgleich des CO2-Ausstoßes versprochen wird – unter allen Befragten sind es 39 Prozent. Das Missverständnis, dass sich Herstellerunternehmen zu einer CO2-Reduktion verpflichten würden, glauben 59 Prozent der Umweltbewussten – gegenüber 52 Prozent insgesamt.
  • 89 Prozent der Verbraucher:innen wünschen sich klare Regeln für "klimaneutrale" Produkte – und eine unabhängige Überprüfung. 86 Prozent sind der Ansicht, dass nur Produkte die Bezeichnung "klimaneutral" tragen dürfen, die auch klimafreundlich hergestellt wurden.
    Im letzten Teil der Befragung wurden die Befragten um ihre Einschätzung zu "klimaneutral"-Aussagen auf Produkten gebeten. Im Ergebnis zeigt sich, dass 89 Prozent der Befragten wichtig ist, dass Produkte mit der Bezeichnung "klimaneutral" von unabhängigen Stellen überprüft werden. 88 Prozent finden, dass bei "klimaneutral"-Produkten garantiert sein sollte, dass das Unternehmen den eigenen CO2-Ausstoß reduziert und nicht nur ausgleicht. 86 Prozent sind der Ansicht, dass Produkte, die nicht klimafreundlich hergestellt wurden, die Bezeichnung "klimaneutral" nicht tragen sollten. 81 Proizent bekunden, dass es sie verwirrt, dass als "klimaneutral" bezeichnete Produkte nicht in jedem Fall klimafreundlich produziert sind.

Schlussfolgerungen

  • Viele der derzeit marktgängigen "klimaneutral"-Aussagen führen Verbraucher:innen in die Irre. Mit 39 Prozent weiß deutlich weniger als die Hälfte der Verbraucher:innen, dass es in erster Linie um den Ausgleich des CO2-Ausstoßes durch Kauf von Zertifikaten geht – viele erwarten bei "klimaneutral"-Aussagen eine klimafreundliche Herstellung. Dieser Befund gilt auch für Verbrauchergruppen mit hohem Umweltbewusstsein.
  • Ein reiner CO2-Ausgleich durch Kauf von Zertifikaten reicht den Verbraucher:innen nicht aus, um Produkte als "klimaneutral" auszuzeichnen. Vielmehr wünscht sich die große Mehrheit, dass die Aussage "klimaneutral" garantiert, dass die beteiligten Unternehmen substanzielle Maßnahmen zum Klimaschutz umsetzen, z.B. in der Rohstoffproduktion, der Herstellung und beim Transport. Darüber hinaus wünschen sie sich klare Regeln für Klima-Label sowie eine Überprüfung durch unabhängige Stellen.

Die Verbraucherzentrale NRW fordert

  • Nachbesserung und anschließende schnelle Umsetzung des Richtlinienvorschlags der Europäischen Kommission zur Stärkung von Verbraucher:innen für den ökologischen Wandel.
    Die EU-Kommission fordert in dem Entwurf das Verbot allgemeiner Umweltaussagen ohne Spezifizierung auf demselben Medium. Die Verbraucherzentrale NRW begrüßt diese Initiative – mahnt aber ebenso wie der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), dass dies noch nicht ausreicht und fordert Nachbesserungen: Um Greenwashing durch allgemeine Umweltaussagen zu verhindern, muss eine einheitliche, wissenschaftlich erprobte Methode festgelegt werden, die für alle Marktteilnehmer zur Spezifizierung ihrer Aussage verbindlich ist.
  • Strengere Regulierung von Klima-Aussagen auf Produkten
    Aus Sicht der Verbraucherzentrale NRW müssen Klima-Aussagen, die nur auf Kompensation beruhen, unterbunden werden, um Greenwashing und Verbrauchertäuschung zu vermeiden. Nötig ist eine zukünftig strengere Regulierung, bei der die konsequente Vermeidung und Verringerung von CO2-Emissionen durch Unternehmen im Mittelpunkt steht.

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