Kleinselbstständige durch Krankenkassenforderung in Not

Pressemitteilung vom
Die Verbraucherzentrale NRW sieht dringenden Handlungsbedarf beim Gesetzgeber
  • Zahlreiche Kleinselbstständige sollen hohe Beiträge für 2019 nachzahlen, weil sie den Steuerbescheid nicht fristgerecht vorgelegt haben.
  • Die Krankenkassen fordern den Höchstbeitrag und akzeptieren keine nachgereichten Unterlagen.
  • Diese sollten aber laut Verbraucherzentrale NRW im Widerspruchsverfahren berücksichtigt werden.
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Bei den Verbraucherzentralen melden sich seit Jahresbeginn zahlreiche freiwillig krankenversicherte Kleinselbstständige, die von ihrer Krankenkasse ungewöhnlich hohe Beitragsnachforderungen für 2019 erhalten. Auch der Verbraucherzentrale NRW liegen zahlreiche Fälle vor. Die Betroffenen sollen den Höchstbeitrag von rund 900 Euro monatlich zahlen, weil sie den Steuerbescheid für 2019 nicht rechtzeitig binnen einer Dreijahresfrist vorgelegt haben. Der Steuerbescheid ist in diesen Fällen die Grundlage für die Berechnung der Beitragshöhe. Auch wenn die Betroffenen die Steuerbescheide nachreichen, bestehen die Kassen weiter auf ihren Forderungen. Die Verbraucherzentralen halten dieses Vorgehen für unverhältnismäßig und rechtswidrig.

Nachforderungen von bis zu 8.000 Euro

Betroffen sind freiberuflich Tätige wie Fußpfleger:innen, Friseur:innen oder Kioskbesitzer:innen, die meist nur sehr geringe Einkünfte erzielt haben. Die Folgen sind massiv: In den vorliegenden Fällen sind Versicherte mit Nachforderungen von bis zu 8.000 Euro konfrontiert. Anstatt die realen Einnahmen für die Beitragsberechnung heranzuziehen, verlangen die gesetzlichen Krankenkassen den Höchstbeitrag. „Faktisch zahlen die Betroffenen also Beiträge auf Einnahmen, die sie gar nicht hatten. Teilweise ist der Krankenkassenbeitrag höher als die monatlichen Einnahmen der Mitglieder“, kritisiert Sabine Wolter, Juristin für Gesundheitsrecht bei der Verbraucherzentrale NRW.

Unnötige Härte

Die Krankenkassen berufen sich auf das Sozialgesetzbuch V. Seit 2018 regelt Paragraf 240 Absatz 4a Satz 4, dass freiwillig gesetzlich Versicherte drei Jahre Zeit haben, ihren Einkommenssteuerbescheid zur Beitragsberechnung einzureichen. Tun sie dies nicht, legt die Krankenkasse zunächst den Höchstbeitrag fest. „Aus unserer Sicht bedeutet das aber nicht, dass nachgereichte Unterlagen im Widerspruchsverfahren nicht mehr berücksichtigt werden können. Werden neue Tatsachen bekannt, muss eine falsche Entscheidung korrigiert werden“, so Wolter. „Im Sozialrecht sind richtige Entscheidungen wichtiger als Fristen.“

Nach Auffassung der Verbraucherzentralen stellt die Vorschrift im Sozialgesetzbuch V keine Strafnorm dar, mit welcher die Kassen Beiträge verlangen dürfen, die vom Einkommen völlig losgelöst sind. Solche Härten dürften auch vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt sein. Andernfalls hätte er es explizit so formulieren müssen. „Wir halten daher dieses Vorgehen für gesetzlich nicht gedeckt“, so Wolter.

Derzeit bleibt Betroffenen nur die Klage

Allerdings stützen sowohl der Spitzenverband der Gesetzlichen Kran-kenkassen als auch das Bundesamt für Soziale Sicherung als Auf-sichtsbehörde das Vorgehen der Kassen gegen ihre Mitglieder und bestehen auf dieser Praxis. Aktuell können Betroffene, wenn ihr Widerspruch abgelehnt wird, nur eine Klage beim Sozialgericht einreichen. „Das hilft den Betroffenen aber nicht kurzfristig“, erklärt Sabine Wolter. „Denn bis zu einer letztinstanzlichen Entscheidung durch die Sozialgerichte würde viel Zeit ins Land gehen. Zeit, in der Kleinselbstständige weiter mit hohen Beitragsnachforderungen belastet sind und dadurch häufig in finanzielle Nöte geraten.“ Die Verbraucherzentralen fordern daher die Politik auf, diese Ungerechtigkeit schnell durch eine gesetzliche Klarstellung zu beseitigen.

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