Bitterstoffe entzaubert: Fakten statt Mythen für kluge Kaufentscheidungen

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Vielfach ist zu lesen, dass Bitterstoffe aus unseren Lebensmitteln heraus gezüchtet wurden. Können wir unseren Bedarf vielleicht gar nicht mehr decken? Da wirkt der Griff zu einem Nahrungsergänzungsmittel umso verlockender. Doch sind Kapseln und Tropfen wirklich nötig?

Das Wichtigste in Kürze:
Wirkung nicht bewiesen

  • Ein täglicher Bedarf an Bitterstoffen ist nicht bekannt, Nachteile bzw. gesundheitlichen Folgen durch eine geringe Aufnahme ebenfalls nicht.
  • Bestimmte Bitterstoffe können bei Verdauungsproblemen und Appetitlosigkeit helfen.
  • Bei Nahrungsergänzungsmitteln genau hinschauen, was enthalten ist und Werbeaussagen kritisch betrachten.
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Was steckt hinter der Werbung zu Bitterstoffen? 

Unternehmen werben für ihre Produkte mit der Behauptung, dass Bitterstoffe aus unseren Lebensmitteln herausgezüchtet wurden. Ihre Nahrungsergänzungsmittel (NEM) seien deshalb nötig, um unseren Bedarf zu decken. Außerdem würden sie beim Abnehmen helfen und gegen den allzeit gehassten Blähbauch helfen. Einige Internetseiten und Foren sprechen von einem Bitterstoffmangel und seinen Folgen für den gesamten Körper. Praktischerweise gibt es meist direkt zwischen den Informationen passende Produktangebote, welche bei einem Bitterstoffmangel Abhilfe leisten sollen. Oft gibt es sogar Rabattcodes. 

Bitterstoffe gehören größtenteils zu den sekundären Pflanzenstoffen, die zwar nicht essentiell (lebensnotwendig) für uns sind, allerdings trotzdem positive Wirkungen auf unseren Körper haben können. Bitterstoffe lassen, wie der Name schon verrät, Lebensmittel für uns bitter schmecken. 

Die wissenschaftliche Studienlage gibt keine Hinweise darauf, dass unser Körper auf Bitterstoffe angewiesen ist oder diese für die Funktion bestimmter Organe relevant sind. Eine entsprechende tägliche Mengenempfehlung für Bitterstoffe gibt es daher nicht. Richtig ist aber, dass Lebensmittel mit natürlichen Bitterstoffen (keine isolierten Bitterstoffe wie in Nahrungsergänzungsmitteln) in die Ernährung eingebunden werden können, um ein Pendant zu einer einseitig süßen Ernährung zu bieten. 

Die Wirkaussagen zu Bitterstoffen sind widersprüchlich. So sollen Bitterstoffe bei Diabetes und Prädiabetes hilfreich sein, um den Hunger zu verringern. Das steht allerdings im Widerspruch zu Ergebnissen, wonach sie den Appetit und das Hungergefühl steigern können. Denn klassisch – als (traditionelle) pflanzliche Arzneimittel - werden Bitterstoffe wegen ihrer appetitanregenden, sekretionsfördernden und darmmobilitätssteigernden Wirkung zur Behandlung von Appetitlosigkeit und bei Magen-Darm-Beschwerden eingesetzt. Ein weiterer Widerspruch: Teilweise wird Bitterstoffen auch eine den Körper entsäuernde Wirkung zugesprochen, während sie gleichzeitig die Bildung von Gallenflüssigkeit und Magensäure fördern sollen. Effekte auf den Blutzuckerspiegel haben sich bisher als sehr schwach erwiesen. Entsprechende Werbeaussagen für NEM sollten also keinesfalls zum Absetzen der nötigen Diabetes-Medikamente führen. 

Es gibt keine eindeutigen Daten aus Humanstudien, die einen Zusammenhang zwischen verringerter Flatulenz (Blähungen) und weniger Heißhunger und der regelmäßigen Einnahme von bestimmten Bitterstoffen zeigen. Entsprechende Werbeaussagen für NEM sind weder seriös noch erlaubt. 

In NEM werden typischerweise Extrakte aus Artischocke, Löwenzahn(wurzel) oder Mariendistel genutzt. Die Arzneipflanzenextrakte, deren Zusammensetzung im Arzneibuch festgelegt ist, sind allerdings andere als die in NEM verwendeten, selbst wenn sie auf bestimmte Inhaltsstoffe (wie Cynarin oder Silymarin) standardisiert sind. Entscheidend ist, dass NEM keine pharmakologische Wirkung haben dürfen. Sonst würden sie eine Arzneizulassung benötigen. 

Wenn Sie körperliche Beschwerden wie einen immer wiederkehrenden "Blähbauch", Appetitlosigkeit oder starkes Heißhungergefühl haben, wenden Sie sich bitte zunächst an Ihre Hausarztpraxis.

Auf was sollte ich bei der Verwendung von Bitterstoffen achten?

  • Ein Mangel an Bitterstoffen ist nicht bekannt.
  • Werbeaussagen wie "trägt zu einem normalen Fettstoffwechsel bei" oder "trägt zur Erhaltung einer normalen Leberfunktion bei" beziehen sich in der Regel nicht auf die enthaltenen Bitterstoffe, sondern auf zugesetztes Cholin. Dieses kommt frei in Lebensmitteln wie Eigelb, Fleisch, Fisch oder Vollkornprodukten vor, wird aber vor allem in Form von Lecithin mit herkömmlichen Lebensmitteln aufgenommen. Es kann bei Bedarf aber auch vom Körper selbst hergestellt werden.
  • Werbeaussagen, insbesondere von Influencer:innen, kritisch hinterfragen, da viele Aussagen insbesondere sogenannte "on hold Claims" sind, die lediglich beantragte gesundheitsbezogene Aussagen darstellen und noch nicht final bewertet wurden. Jegliche Nennung von Krankheiten ist verboten! Wenn Sie unsicher sind, ob es für Sie Sinn macht, ein Produkt auszuprobieren, fragen Sie Ihre Hausärztin, Ihren Hausarzt oder in Ihrer Apotheke. Vertrauen Sie nicht auf Influencerin bzw. Influencer oder Produktrezensionen im Internet

    On hold Claims sind gesundheitsbezogene Angaben, die noch nichts vollständig auf ihre Richtigkeit geprüft wurden, allerdings bereits genutzt werden dürfen, wenn sie der Health-Claims-Verordnung und den nationalen Bedingungen entsprechen.
    Quelle: Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit
  • In der Zutatenliste der NEM sind die einzelnen Zutaten in absteigender Reihenfolge nach enthaltenen Mengen aufgelistet. Dort finden sich allerdings oft nur wenige Angaben zu den exakten Mengen wie "x % xy-Extrakt" oder "Pflanze xy (x %)". Leider geht auch aus den Nährwertangaben längst nicht immer hervor, wie hoch der Gehalt an den jeweiligen Bitterstoffen (wie Cynarin bei Artischocke, Silymarin bei Mariendistel) tatsächlich ist.
  • Insbesondere Tropfen und Sprays enthalten als Hauptzutat Alkohol, einige zusätzlich Konservierungsstoffe.
  • Bei Zutaten wie Wermut oder Artemisia ist Vorsicht angeraten, da die genaue Wirkungsweise noch nicht geklärt ist und unerwünschte gesundheitliche Wirkungen nicht auszuschließen sind.
  • Bei erstmaliger oder übermäßiger Supplementierung können Bitterstoffe zu Übelkeit und allgemein abführenden Wirkungen führen.
  • Sollten Sie gesundheitliche Probleme im Bereich des Magen-Darm-Trakts haben, verwenden Sie NEM mit Bitterstoffen bitte nicht ohne ärztliche Rücksprache. Bei Magengeschwüren, Beschwerden des Zwölffingerdarms und Gallensteinen wird explizit von der Einnahme bitterstoffhaltiger NEM abgeraten. Gleiches gilt bei Problemen mit einer Übersäuerung des Magens.

Lebensmittelalternativen mit Bitterstoffen

Bitterstoffe sind beispielsweise enthalten in:

  • Getränke: Grüner und schwarzer Tee, Kaffee, Rotwein
  • Hülsenfrüchte: Erbsen, Mungbohnen, Sojabohnen, Sojadrink, Esskastanien
  • Gemüse: Chicoree, Artischocke, Spargel, alle Kohlsorten, Spinat, Mangold, Sellerie, rote Zwiebeln, Tomaten, Endivien, Friséesalat, Rucola, Rote Bete, Radicchio, Oilven
  • Kräuter und Gewürze: Minze, Salbei, Rosmarin, Thymian, Zimt, Pfeffer, Chili
  • Früchte: Beerenfrüchte, Kirschen, Trauben, Äpfel, Birnen, Zitrusfrüchte, Pflaumen
  • Nüsse und Samen: Mandeln, Sonnenblumenkerne, Erdnüsse, Walnüsse, Cashewkerne, Mohn, Kakao/Bitterschokolade 

Wenn Sie von diesen Lebensmitteln regelmäßig essen bzw. trinken, müssen Sie sich keine Gedanken um ihre Bitterstoffversorgung machen. 

Achtung: Wenn roher Kürbis oder Gurke (auch aus dem eigenen Garten) bitter schmecken, auf keinen Fall verwenden, sondern direkt entsorgen. In Folge einer falschen Kreuzung könnte sich der giftige Bitterstoff Cucurbitacine gebildet haben. 

Auf Tees mit reinem Wermut oder in Kräutermischungen sollte Sie besser verzichten, da bereits nach zwei Tassen Tee die tolerierbare tägliche Höchstmenge (TDI) überschritten werden könnte, wenn der enthaltene Wermut eine hohe Thujon-Konzentration enthält. 

Wirkung von Bitterstoffen 

Bitterstoffe sollen antimikrobiell, antioxidativ und entzündungshemmend wirken. Durch Studien belegt ist die Förderung der Produktion von Verdauungs- und Speichelsekreten, was zur Appetitsteigerung und einer Ansäuerung des Magens führt. 

Studien, die sich auf einzelne Stoffe wie Wermut oder Artischockenblattextrakt beziehen, wurden nicht mit NEM gemacht, sondern mit definierten Extrakten, wobei nicht immer klar ist, inwieweit die Wirkung auf die Bitterstoffe oder doch auf andere Inhaltsstoffe wie einer hohen Konzentration an pharmakologisch wirksamen Flavonoiden zurückzuführen ist. Außerdem wurden viele Studien nur in der Petrischale (in vitro) oder an Tieren durchgeführt, das heißt, sie sind nicht einfach so auf den Menschen übertragbar.

Für die Wahrnehmung des Bittergeschmacks gibt es weit über 200 Bitter-Rezeptoren, von denen man seit kurzem weiß, dass wir diese nicht nur auf der Zunge, sondern auch im Darm und in der Lunge haben. Wofür genau diese besondere Platzierung der Rezeptoren an anderen Orten als dem Magendarm Trakts sinnvoll ist, ist noch nicht endgültig geklärt. Hier sind weitere Forschungen nötig. Insbesondere beschäftigt sich damit die israelische Forschergruppe Bitter-DB. 

Weitere Infos und Quellen: 

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